Pacific News #08

China im Jahr 1995 – Ein Rückblick

 

Jürgen Jaeger

 

Die Volksrepublik China gerät seit der Niederschlagung der Freiheitsbewegung auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ wegen seiner Menschenrechtspolitik immer stärker in die Schlagzeilen. Dieses Jahr nun wurde verstärkt weltweite Kritik geäußert. Auslöser hierfür war im Sommer das Benehmen chinesischer Sicherheitskräfte auf der internationalen Weltfrauenkonferenz, die Verhaftung des chinesischen Bürgerrechtlers Harry Wu und Todesurteile für Regimekritiker.
Neben diesem innenpolitisch härteren Kurs zeigt sich China auch nach außen bedrohlicher. Peking erschreckte seine Nachbarn in diesem Frühjahr mit der Besetzung einiger Inseln in unmittelbarer Nähe zur philippinischen Küste und drohte Taiwan verbal und militärisch durch Manöver direkt vor dessen Küste.

CHINA AUF DEM SPRUNG INS NÄCHSTE JAHRTAUSEND
China ist ein Land, das sich innenpolitisch und wirtschaftlich im Wandel befindet. Besonders der wirtschaftliche Umschwung ist deutlich erkennbar.
Es gibt mehr privatwirtschaftliche Freiheiten, die Wirtschaft boomt mit einem Wachstum von über 10%. Gleichzeitig geht mit dem wirtschaftlichen Aufschwung auch ein gesellschaftlicher Wandel einher. In der politischen Führung findet ebenfalls ein Übergang statt. Nicht nur, daß altgediente Zentralkomitee Mitglieder (ZK) der Kommunistischen Partei wegen Amtsmißbrauch und Korruption aus der Partei ausgeschlossen werden, wie z.B. der Bürgermeister von Peking, Cheng Xitong, sondern es findet ein Generationswechsel statt. Hierbei zeigen sich jedoch Seilschaften immer noch aktiv, wie z.B. bei der Umbildung der Führung der Volksbefreiungsarmee. Der interne Machtkampf zwischen Anhängern des Parteichefs Jiang Zemin und dem greisen Deng Xiaoping wird bei dieser Neubesetzung deutlich. Spekulationen über eine Ablösung des derzeitigen Stelleninhabers, wurden durch die Schaffung zweier neuer Posten entkräftet, was auf Unstimmigkeiten innerhalb der Führungsriege hinweist, da man sich nicht auf einen Kandidaten einigen konnte.

China im Überblick (Stand 1995):
9 560 770 qkm  Fläche
1,2 Mrd  Bevölkerung
1,2% Wachstum der Bevölkerung
11,8% Wirtschaftswachstum
340 $ Pro-Kopf- Einkommen
21,7%  Inflationsrate

POTENTIELLER KONFLIKT-HERD IN DEN NÄCHSTEN JAH-REN: DAS SÜDCHINESISCHE MEER? EINIGE HINTERGRÜNDE
Der Konflikt um die Sicherung von Besitzansprüchen im Süd-chinesischen Meer schwelt schon lange. Jedes der angrenzenden Länder, dazu gehören alle ASEAN Staaten (Brunei, Indonesien, Malaysia Philippinen, Singapur Thailand und Vietnam), plus China, Taiwan und Kambodscha, versucht eine möglichst große Meeresfläche in ihr 12 sm (Seemeilen) Küstenmeer oder in die 200 sm „Ausschließliche Wirtschaftszone“ einzugliedern. Seitdem die neue Seerechtskonvention in Kraft getreten ist – über 60 Staaten haben die Konvention unterschrieben – sind Inseln und Riffe wichtige Markierungs- und Meßpunkte geworden. Sie besitzen entscheidenden Einfluß auf die Größe der Eigengewässer. Besonders gefährlich wird es wenn Inselbereiche als Erdgas oder Erdöl höffig angesehen werden.
Im Bereich des Südchinesischen Meeres würde bei voller Ausnutzung der 200 sm Wirtschaftszonen aller Anliegerstaaten keine freie „Hohe See“ mehr übrig bleiben. In diesem engen Meeresbereich würde es sogar zu sich überlagernden Seegebietsansprüchen kommen wodurch Konflikte vorprogrammiert sind. Zumal entgegen aller Konventionen China und Taiwan aus historischen Gründen fast das gesamte (80%) Südchinesische Meer für sich beanspruchen.
Ein Konfliktgebiet ist die Spratly-Inselgruppe mit ihren weit verstreut liegenden unbewohnten Inseln und Korallenriffen. Das Gebiet gilt als fisch- und rohstoffreich und wird von sechs Staaten teilweise oder ganz beansprucht. Jeder Staat begründet seinen Anspruch durch eigene Inselnamen, die Historie oder Auslegungen der Seerechtskonvention.
Fakt ist, daß derzeit einige Inseln der Spratlys von vier Staaten (China, Taiwan, Vietnam und Philippinen) militärisch besetzt sind.
Seit den sechziger Jahren finden militärisch ausgetragene Scharmützel um diese Inselgruppe statt. Zuerst betraf dies nur Vietnam, China und Taiwan. Seit diesem Frühjahr kommen die Philippinen hinzu. Auslöser für diesen Konflikt ist die Ausweitung des chinesischen Machtbereiches und der verstärkte Einfluß des Militärs in China.
Die Chinesen dehnten ihre Aktivitäten bis auf rund 90 km vor die philippinische Insel Palawan aus und errichteten Markierungssteine und Bauten innerhalb der von den Philippinen erklärten 200sm-Wirtschaftszone. Diese Markierungssteine und „Befestigungen“ wurden von den Philippinen als Beweis für den Anspruch Chinas auf die Inselgruppen im Chinesischen Meer angesehen. Als Antwort verhafteten die Philippinen 62 chinesische Fischer und sprengten die Bauten.
Auf diplomatischem Weg ist bei diesem Streit bisher wenig erreicht worden. Die Entwicklung hängt im Augenblick stark von dem weiteren Vorgehen Chinas und der Einflußnahme der USA ab, die allerdings durch ihr momentan schlechtes Verhältnis zu China, wenig Einfluß besitzen dürften (s.u.).

DAS VERHÄLTNIS CHINAS ZU TAIWAN – WEITERE WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG ODER VERSCHÄRFUNG DER GEGENSÄTZE?
Das Verhältnis der beiden Chi-nas war noch nie gut. Doch Phasen ohne größere Störungen ließen hoffen. Das ist seit diesem Jahr nun ebenfalls vorbei.
Gründe hierfür sind die vorher beschriebenen Umwälzungen in China. Jede der einzelnen Gruppierungen versucht durch kraftvolle Äußerungen nach außen, interne Unsicherheiten zu überspielen und sich zu profilieren.
Mittel dieses Machtkampfes sind offene Drohungen Pekings gegenüber Taiwan und verstärktes militärisches Muskelspiel.
Gründe für diese Aggression Chinas sind zum einen, die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr – das erste mal in der 5000jährigen Geschichte Chinas wählt das Volk seinen Präsidenten – zum anderen der Alleinvertretungsanspruch Chinas. Dieser Alleinvertretungsanspruch verbietet Taiwan, sich für unabhängig von China zu erklären. Sollte ein neuer Präsident dies wagen, so droht China mit Krieg. Beide Länder – China ist seit dem Bürgerkrieg 1949 geteilt in Nationalchina (Taiwan) und in die Volksrepublik China – besitzen zwar diesen Alleinvertretungsanspruch doch wird in Taiwan über eine Statusänderung nachgedacht. Allerdings erleichtert der Politikerglaube beider Länder, daß jeweils bessere Staatssystem für beide Chinas zu besitzen, ein Zusammenfinden nicht.
Ein weiterer Grund für das schlechte Klima sind die Spannungen zwischen den USA und China. Die traditionell guten Beziehungen sind durch eine lasche Chinapolitik und das aggressive Vorgehen Pekings gestört. Taiwan als US-Zögling bekommt eine Verschlechterung des Klimas natürlich als erster zu spüren.
Auswirkungen kann man sogar hier in Deutschland feststellen. Die desolate Werftenbranche bittet die Gewerkschaft IG Metall um Hilfe für eine Auftragsgenehmigung zur Lieferung von U-Booten an Taiwan. Die-se Genehmigung wird allerdings von der Bundesregie-rung auf Druck von China hin zurückgehalten.
Auch Taiwan befindet sich in einer prekären Lage. Eine Veränderung des derzeitigen Status Quo wäre ein zu großes Risiko, da China unkalkulierbar in dieser Frage reagieren könnte. Eine Beibehaltung beinhaltet die ständige Einmischung und die diplomatische Abschottung, da nur wenige Staaten offizielle diplomatische Beziehungen aus Angst vor China zu Taiwan pflegen.
Ein weiterer Punkt ist die starke wirtschaftliche Verflechtung. 25.000 taiwanesische Unternehmen haben insgesamt über 20 Mrd. US$ in China investiert und sind damit neben Hongkong der zweitgrößte Investor. Bei einer politischen Zuspitzung wären diese Investitionen gefährdet.
Keiner glaubt zwar an eine Eroberung Taiwans, da hierzu China militärisch auch nicht in der Lage wäre, aber eine größere Konfrontation könnte den aufstrebenden “Kleinen Tiger” wirtschaftlich treffen und seine prosperierende Wirtschaft schädigen. Schon heute sind Auswirkung der Krise sowohl an den Börsen als auch der Währung zu spüren.
Vielleicht liegt aber gerade in der Wirtschaft eine Möglichkeit auch China seine Grenzen aufzuzeigen. Mit einem Handelsüberschuß von knapp 30 Mrd. US$ im US-Handel zeigt sich wie stark der Wachstumsmarkt China vom Handel abhängig ist.
Mit China im Dialog zu bleiben, aber die Wirtschaft nicht in den absoluten Vordergrund zu stellen, wie es in Europa oft gehandhabt wird, könnte Erfolg haben.
Quellen:
H.J. Buchholz:: Seerechtszonen im Pazifischen Ozean. Hamburg 1984.
Handelsblatt Nr. 145/31 S.8.