Pacific News #11

 

Das “Drei-Schluchten-Projekt” in China – Hochwasserschutz für 30 Millionen Menschen

Georg Franken

Das “Drei-Schluchten-Projekt” am Jangste-Fluß gehört sicherlich zu den umstrittensten Bauvorhaben in China. Zwar begann man bereits in den 50er Jahren mit der Planung, doch wurde die Realisierung erst 1992 im Nationalen Volkskongreß beschlossen. Kritiker warfen der Regierung damals vor, daß sie ihr “Prestigeobjekt” nur durch die Unterdrückung der Demokratiebewegung in China durchsetzen konnte. Aber auch in der Regierung war der Bau nicht unumstritten. Im Nationalen Volkskongreß, der eher als ein “Absegnungsparlament” bekannt ist, verweigerten immerhin 1/3 der Delegierten ihre Zustimmung.

Der Jangstekiang ist mit 6300 km der 2. längste Strom der Welt. Jährlich fließen 450 Mrd. cbm/s Wasser den Fluß hinunter, das sind 7-8 mal mehr als beim Rhein. Allerdings unterliegt die Wasserführung starken saisonalen Schwankungen. So steigt die winterliche Abflußmenge von 3500 cbm/s auf 30.000 cbm/s während der Sommer-monate an. Bei starken Regenfällen können es im Extremfall sogar 100.000 cbm/s sein. Beim Rhein sind es lediglich 2000 cbm/s.


The Three Gorges Project is the largest water conservancy project in China. The picture shows the river being detoured.

Für das dichtbesiedelte chinesische Tiefland stellen diese Wassermassen eine große Gefahr dar. Durch Überschwemmungen verloren 1931 bzw. 1935 jeweils 150.000 sowie 1954 über 35.000 Menschen ihr Leben. Im August 1996 konnte eine Hochwasserkatastrophe nur durch den Einsatz von 200.000 Soldaten und Millionen ziviler Helfer knapp verhindert werden.

Überlegungen, die Hochwassergefahr durch eine Erhöhung der Deiche oder die Anlage von Polderflächen zu bannen, haben sich als nicht praktikabel erwiesen. Bei hohen Pegelständen steht das Wasser bereits jetzt 14 m über dem umliegenden Gelände. Ein Deichbruch hätte somit verheerende Folgen. Hochwasserpolder sind zwar vorhanden, doch macht eine Bevölkerungsdichte von 1000 Einwohner/qkm die Ausweisung weiterer Flächen sowie deren Freihaltung von Besiedlung problematisch. Um das Überschwemmungsrisiko des Jangste in den Griff zu bekommen, ist nach Meinung des international anerkannten chinesischen Wasserbauexperten Prof. Liu Bingnam der Bau eines Hochwasserreservoirs unverzichtbar.

Dem stimmen auch die Gegner des Projekts zu. Allerdings sind sie gegen den Bau einer Staumauer am Ausgang der drei Schluchten, durch die der Jangste vor Eintritt ins chinesische Tiefland fließt. Sie befürworten vielmehr den Bau mehrerer kleiner Talsperren an den Nebenflüssen und im Oberlauf des Jangste. Da sich jedoch die Opposition nicht durchsetzen konnte, wird ab dem Jahr 2010 am Ausgang der Schluchten etwa 40 Km oberhalb von Yichang eine 2300 m breite und 175 m hohe Staumauer den Fluß auf über 600 Km aufstauen. Das so entstehende Staubecken hat ein Volumen von 40 Mrd. cbm und ist damit etwa doppelt so groß wie der Bodensee.

Die Hauptaufgabe dieses riesigen Stausees ist eine Verbesserung des Hochwasserschutzes für das chinesische Tiefland. Zur Flutkontrolle wird die Stauhöhe bis zum Beginn der Monsunzeit gegen Ende Mai vom Normal- (175 m ü.d.M.) auf Flutniveau (145 m ü.d.M.) abgesenkt. Dadurch will man eventuelle Hochwasserspitzen auffangen. Steigt die Wassermenge des Jangste an, läßt man eine Durchflußmenge bis maximal 60.000 cbm/s das Staubecken ungehindert passieren. Erst ab einer Abflußmenge über 60.000 cbm/s wird der Fluß gestaut, da die Deiche für eine größere Wassermenge nicht ausgelegt sind. Ein Jahrhunderthochwasser von 85.000 cbm/s soll auf diese Weise ohne Nutzung der Flutpolder gefahrlos durchgeschleust werden können. Selbst bei bis zu 105.000 cbm/s hofft man den Abfluß so weit regulieren zu können, daß die Deiche der Belastung standhalten.

Durch die Wasserregulierung soll außerdem eine Verlandung des Stausees vermieden werden. Pro Jahr transportiert der Jangste immerhin 500 Mio. t Sediment. Kritiker warnten deshalb vor einer möglichen Verlandung. Da aber 90 % des Sediments in der Hochwassersaison von Juni bis September anfallen und der Durchfluß während dieser Zeit im allgemeinen ungebremst ist, wird der Schlamm zum überwiegenden Teil mitgespült. Ein ähnliches Verfahren hat sich am Sanmenxia-Staudamm am Gelben Fluß, der ebenfalls eine große Sedimentfracht mit sich führt, bereits bewährt. Aus experimentellen Versuchen entlang des Flußlaufs – es wurde eigens ein 800 m langes Modell angefertigt – weiß man, daß sich das Reservoir innerhalb von 80 Jahren bis zum Flutkontrollniveau mit Sand und Kies füllen wird. Danach soll sich ein Gleichgewicht zwischen Ablagerung und Ausspülung herstellen. Der Stausee hätte dann noch 80% seines ursprünglichen Fassungsvermögens.

Mit der Realisierung des “Drei-Schluchten-Projekts” will die chinesische Regierung aber nicht nur den Hochwasserschutz verbessern. Neben der Nutzung zur Energiegewinnung soll das Vorhaben auch zur Verbesserung der Schiffahrtswege dienen. Da durch den Bau der Staumauer die Stromschnellen mit ihren Engpässen im Verlauf der drei Schluchten Qutang, Wu und Xiling wegfallen, können dann Schiffe bis zu einer Ladekapazität von 10.000 t an neun Monaten im Jahr den Jangste bis Chongqing befahren. Während Frachtschiffe den Damm über zwei parallele fünfstufige Schleusentreppen überwinden, ist für Passagierschiffe der Bau eines Schiffshebewerks vorgesehen. Auch wenn das Landschaftsbild mit seinen hohen Felswänden und markanten Felsspitzen erhalten bleiben soll, wird die Passage der Drei-Schluchten für Touristen an Dramatik verlieren. Die Fahrten über einen reißenden Jangste gehören dann der Vergangenheit an.

Wie bereits erwähnt will man den Stausee auch zur Stromerzeugung nutzten. Geplant sind 2 Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 18.200 MW, die etwa 3­4% der nationalen Energieproduktion liefern werden. Der Bau der Kraftwerke ist Teil eines Ausbauprogramms der chinesischen Elektrizitätswirtschaft zur Deckung des industriellen Strombedarfs. Bei der Realisierung ist China allerdings auf ausländisches Kapital bzw. Know-how angewiesen. Seit der wirtschaftlichen Öffnung zum Westen stellt dies jedoch kein nennenswertes Hindernis mehr dar.

Andere Probleme hingegen warten noch auf eine Lösung. Durch die Aufstauung des Jangste wird neben der Fließgeschwindigkeit auch die Selbstreinigungskraft des Flusses reduziert. Es besteht daher die Notwendigkeit sowohl zahlreiche Müllhalden sowie industrielle Altlasten zu beseitigen, als auch die Wasserverschmutzung drastisch einzudämmen. Gegenwärtig werden in dem betreffenden Gebiet ca. eine Mrd.cbm (1998) ungeklärte Abwässer in den Jangste eingeleitet. Hier wurden bisher leider noch keine Maßnahmen ergriffen.

Für die in diesem Raum lebende Bevölkerung dürfte jedoch die notwendige Umsiedlung von 1,3 Mio. Menschen das weitaus größere Problem darstellen. Seit Gründung der Volksrepublik China wurden insgesamt 10 Mio. Menschen wegen des Baus von Stauseen umgesiedelt. Während der Mao-Zeit blieben sie weitgehend auf sich gestellt. Viele gerieten wegen fehlender staatlicher Hilfe in wirtschaftliche Notlagen. Besonders problematisch ist die Umsiedlung der Bauern. Da für das geflutete Ackerland keine Ersatzflächen zur Verfügung stehen, müssen neue Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden.


 The picture shows a projection of the future major hydroelectric power plant

Es ist unbestreitbar, daß der Hochwasserschutz für das chinesische Tiefland unbedingt verbessert werden muß. Ob lediglich eine Erhöhung der Deiche eine mögliche Überschwemmung zuverlässig hätte verhindern können, ist fraglich. Eine Ausweitung von Überflutungs- bzw. Polderflächen ist aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte und des damit verbundenen Bevölkerungsdrucks nicht durchsetzbar. Trotzdem bleibt die Frage, ob das “Drei-Schluchten-Projekt” in seiner jetzigen Form notwendig gewesen wäre. Eventuell hätte ja auch die von der Opposition geforderte Variante ausreichenden Schutz geboten und zugleich die Umsiedlung von 1,3 Mio. Menschen unnötig gemacht sowie eine Reihe von Kulturdenkmalen und archäologischen Funden vor der Überflutung bewahrt. In der jetzigen Form hätte das Projekt in Europa insbesondere wegen der damit verbundenen Umsiedlungen wohl kaum verwirklicht werden können. In China denkt man jedoch in anderen Dimensionen. Laut Prof. Lin Bingnam kann man entweder durch die Umsiedlung von 1,3 Mio. Menschen 30 Mio. stromabwärts sichern oder darauf verzichten und für die nächste große Flut das Beste hoffen.

Quellen:

  • “China setzt auf Kohle und Wasserkraft”, Stromthemen, 11. Jhg., Nr.12, Dez. 1994, S. 4-5.
  • “Ein Bollwerk gegen die Fluten des Jangste”, Standpunkt, 11. Jhg., Febr. 1998, S. 28-33.
  • “Ein gigantisches Projekt”, Internet: http:// www.tages-anzeiger.ch/ 970805/201579.HTM. (Stand 30.6.98).
  • “Exportrisikogarantie an ABB und Sulzer für das Drei-Schluchten-Kraft- werk in China”, Internet: http://adminsrv.admin.ch/cp/d/1996Dec9.153254.6948@idz.bfi.admin.ch. html (Stand 30.6.98).